Bedrohungen für die Menschen in der Städteregion

Sehr geehrter Herr Städteregionsrat, sehr geehrte Damen und Herren,

es sind außerordentlich schwierige Umstände, unter denen wir heute zusammentreten. Der Städteregionstag ist bewusst nicht vollzählig erschienen und der Beschluss über den Haushalt, sonst Anlass für lange Verhandlungen und umfangreichere Grundsatzreden, findet diesmal in abgekürztem Verfahren und ohne mündlich vorgetragene Rede statt. Ich gebe also meine erste Rede in diesem Kreis nur zu Protokoll. Es ist gut, dass wir uns im Kreis der Fraktionsvorsitzenden einstimmig dazu entschieden haben und uns über alle Parteigrenzen einig sind, dass wir das Mögliche tun wollen, Risiken für die Gesundheit und das Leben von uns und anderen zu minimieren.

Es sei mir zu Beginn kurz erlaubt, daran zu erinnern, dass dieses Haus auch mit einem anderen Beschluss über alle Fraktionen hinweg dafür plädiert hat, Bedrohungen unseres Lebens abzubauen, als es vor etwas mehr als einem Jahr einstimmig für den Beitritt zum Städteappell für das Atomwaffenverbot gestimmt hat, das nun vor wenigen Tagen völkerrechtlich in Kraft getreten ist, dem Deutschland aber bisher leider immer noch nicht beigetreten ist. Auch der Protest gegen die Bedrohung durch das marode Atomkraftwerk bei unseren Nachbarn hat die Fraktionen im Städteregionstag verbunden und der Städteregionstag wird auch nicht nachlassen, sich in dieser Angelegenheit für den Schutz der Menschen in unserer Region und weit darüber hinaus einzusetzen.

Uns als DIE LINKE bereitet die aktuelle Situation in der Pandemie große Sorgen, denn natürlich bedeutet das, was wir jetzt alle aushalten müssen, ebenfalls eine große Bedrohung für die Menschen in der Städteregion. Nicht dass wir uns missverstehen: Wir sehen die beachtlichen Bemühungen der Städteregion, das Nötige zu tun, insbesondere im Bereich des Gesundheitsamts. Es ist auffällig, wie engagiert gerade die hiesigen Institutionen sind, die Öffentlichkeit gut und regelmäßig zu informieren. Wir danken Herrn Dr. Ziemons für seine aktuellen Berichte an Städteregionstag und ‑ausschuss, und wir sind den vielen Menschen dankbar, die in den Institutionen der Städteregion für uns alle das Beste geben.

Wir glauben nicht, dass wir wüssten, wie alles problemlos besser zu bewältigen wäre, im Gegenteil: Wohl jeder Weg aus der Pandemie wäre ein steiniger – wir würden allerdings an der einen oder anderen Stelle andere Abzweigungen nehmen. Die meisten Entscheidungen darüber sind aber ohnehin durch andere Ebenen vorgegeben und wir können sie nicht direkt auf Ebene der Städteregion ändern. Wir möchten deshalb das Augenmerk darauf richten, was wir hier vor Ort jetzt tun können, um auf die absehbaren Folgen der Pandemiesituation zu reagieren. Wir sind froh, dass wir auch in dieser Angelegenheit und unter den besonderen Bedingungen dieser Haushaltsberatung eine Verständigung mit anderen Fraktionen erreichen konnten und Gehör fanden für unsere Vorschläge für das Wohlergehen der Menschen, die wir alle im Städteregionstag vertreten.

Es ist unzweifelhaft so, dass in dieser Situation auch in unserer Region viele Menschen vor großen finanziellen Herausforderungen stehen und dass es noch viele mehr werden. Wir wollten deshalb beispielsweise empfehlen, den Etat für Schuldnerberatung zu erhöhen. Da es auf diese Beratung aber einen Rechtsanspruch gibt, muss der Etat sich ohnehin an der Nachfrage orientieren. Grundsätzlich möchten wir aber daran erinnern, dass es zusätzlich ratsam wäre, den Berechtigtenkreis zu erweitern und den Menschen nicht erst dann diese Beratung angedeihen zu lassen, wenn es schon richtig schlimm ist. Unsere Fraktion hatte dazu in der Vergangenheit schon einmal einen Vorstoß unternommen, der meines Wissens aber leider keine Mehrheit bei Ihnen gefunden hatte.

Ein weiterer Kernpunkt ist die Situation im privaten Bereich. Die Einschränkung der sozialen Kontakte wird zweifellos zu einer Zunahme der psychischen Belastungserscheinungen in der Bevölkerung führen. Schon gleich zu Beginn der Pandemie wurde darauf hingewiesen, dass Kontaktbeschränkungen teilweise Wirkungen bis hin zur Traumatisierung haben können. Wenn uns noch nichts besseres zur Verfügung steht, um diese Einschränkungen zu vermeiden, sollten wir uns doch darauf vorbereiten, dass wir diese Folgen abfangen müssen. Initiativen und Organisationen, die in diesem Feld tätig sind, brauchen deshalb unsere besondere Unterstützung in diesem Jahr und leider wohl auch noch lange darüber hinaus.

Wie viele andere befürchten wir, dass Existenzängste, räumliche Enge und weitere Faktoren zu einer deutlichen Zunahme häuslicher Gewalt führen. Leider ist es für die Betroffenen oftmals viel schwieriger geworden, Hilfe zu suchen, wenn beispielsweise Beratungsstellen pandemiebedingt nicht mehr ohne Termin aufgesucht werden können. Kinder, die jetzt keine Kita oder Schule besuchen, deren blaue Flecken fallen keinem Erzieher und keiner Lehrerin auf. Im vergangenen Jahr wurden die Schuleingangsuntersuchungen in der Städteregion coronabedingt abgebrochen und bisher nicht wieder aufgenommen. Damit ist eine weitere Gelegenheit weggefallen, bei der Gefährdungen des Kindeswohls auffallen können. Es gibt aus solchen Gründen weniger Meldungen von Verdacht auf Kindeswohlgefährdungen, aber leider keinen Grund zu der Annahme, dass die Gefährdungen und auch die vollendeten Misshandlungen nicht zugenommen hätten. Wir haben deshalb angeregt, Maßnahmen gegen häusliche Gewalt stärker zu fördern, und danken den anderen Fraktionen, die dem Vorschlag folgen.

Die Coronasituation stellt die Familien vor große Probleme, das ist Ihnen allen bekannt, wahrscheinlich auch in vielen Facetten, und ich muss Ihnen das nicht aus dem Landeselternbeirat berichten. Es ist deshalb der richtige Zeitpunkt, gerade jetzt den Jugendamtselternbeirat der Städteregion, das ist die Vertretung der Eltern, deren Kinder eine Kita oder Kindertagespflegestelle im Zuständigkeitsbereich des Jugendamts der Städteregion besuchen, mit einem festen Etat zu unterstützen, zumal es eine gesetzliche Verpflichtung zur Unterstützung gibt, auch wenn das Gesetz keinen finanziellen Rahmen setzt.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die besondere Lage der Alleinerziehenden lenken, für die die jetzige Situation oftmals fast gar nicht mehr zu bewältigen ist. Das Land hat hier dankenswerterweise dem Verband der Alleinerziehenden Mütter und Väter (VAMV e.V.) eine Beratungshotline finanziert, die dringend nötig ist. Wir sollten aber auch das Beratungsangebot dieser wichtigen und anerkannt qualifiziert arbeitenden Institution in der Städteregion unterstützen, etwa aus dem von der SPD angeregten Topf für Wohlfahrtsverbände.

Eine weitere Personengruppe, die wir in dieser Situation nicht aus dem Auge verlieren dürfen, sind diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – über keine Krankenversicherung verfügen. Wir wissen, von der Theorie her sollte es die gar nicht geben müssen, aber leider ist die Realität in dieser Gesellschaft eben doch anders. Unser Vorschlag, die hier tätige Initiative weiter zu unterstützen, wurde von Fachleuten als sinnvoll bezeichnet und fand bei anderen Fraktionen auch Zustimmung. Wir werden deshalb diesmal dem gemeinsamen Vorschlag zum Haushalt mit den Mehrheitsfraktionen zustimmen, auch wenn es viele Dinge gibt, die wir anders machen würden, wenn wir die Mehrheit stellen würden.

Ich war, noch in meinem Ehrenamt als Mitglied des Landeselternbeirats, vor einiger Zeit Gast auf einem Zukunftskongress, und erlauben Sie mir bitte, kurz davon zu berichten. Auf dem Kongress sprachen mehrere Expertinnen und Experten darüber, welche Anforderungen an Bildung wir mutmaßlich in 25 Jahren haben werden. Es sprachen ein Professor, der sich mit Künstlicher Intelligenz befasst, eine Psychologieprofessorin, ein besonders technikaffiner Lehrer und weitere Personen, die die Frage aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln betrachteten. Niemand sprach dort mehr von der Debatte um die Förderung der MINT-Fächer, und auch die leidige Digitalisierung ist dann hoffentlich kein Thema mehr. Alle Referentinnen und Referenten waren sich einig, dass wir in der Zukunft eine Bildung brauchen, die vor allem anderen auf Kreativität und individuelle Lösungen setzt, für die der Mensch trotz aller Automatisierungen und Rationalisierung gebraucht werde. Kunst und Kultur seien Bereiche, deren Bedeutung in Zukunft kaum zu überschätzen ist.

Es ist unfassbar, dass ausgerechnet im Bereich der Kultur jetzt zugelassen wird, dass in großem Ausmaß Existenzen vernichtet werden und Schäden entstehen, die uns noch über Jahrzehnte betreffen werden. Leider waren auch die von der Städteregion bereitgestellten zusätzlichen Hilfen sehr kompliziert zu beantragen, sodass der dafür bereitgestellte Etat noch nicht einmal ausgeschöpft wurde. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Städteregion darum kämpfen wird, dass Kulturschaffende hier eine Existenzgrundlage haben. Und wenn die großen Sparzwänge kommen werden, lassen Sie uns nicht akzeptieren, die Kultur wären verzichtbare „freiwillige Leistungen“.

(Schriftlich zu Protokoll gegebene Rede des Fraktionsvorsitzenden Darius Dunker für DIE LINKE Fraktion im Städteregionstag zum Haushalt der Städteregion Aachen für das Jahr 2021.)

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